Bereits in Zeiten des zweiten Weltkrieges formten sich in Griechenland starke Widerstandsgruppen, welche die italienisch-deutschen Besatzungsmächte zu verteiben mochten. Es folgte ein Bürgerkrieg in dem sich rechte und linke bewaffnete Truppen gegenüberstanden, was in einer von den Briten unterstützten, rechten, konstitutionellen Monarchie endete. Nach dem Putsch des Militärs 1967 regierte dieses in Form einer Diktatur, bis es 1973 unter anderem durch Revolten dazu gezwungen wurde, eine parlamentarische Demokratie zu errichten. Die rechten Strukturen blieben erhalten, die Proteste breiter Teile der Bevölkerung hielten ebenfalls an. 1981 kam die „soziale Partei“ PASOK an die Macht, was die Institutionalisierung eines grossen Teils der linken Bewegungen mit sich brachte. Trotzdem (oder deshalb?) kam es seitdem immer wieder zu Unruhen und Revolten verschiedenster Bevölkerungschichten in Griechenland. Grösstenteils wurden diese ausgelöst von Umstrukturierungen der Regierung oder von Morden seitens der Polizei. In jedem Fall blieb ein tiefes Misstrauen der Regierung gegenüber bestehen, was sich auch in der stark verbreiteten Selbstorganisierung (z.B. Stadteilversammlungen) und Widerstandsbereitschaft (durch Streiks, Strassenkämpfe und ähnliches) ausdrückt.
...zum Wiederstand heute
Am Samstag dem 6. Dezember 2008 wird in Athen der 15jährige
Alexandros Grigoropoulos (Alexis) auf offener Strasse von Bullen erschossen. Eine Stunde später beginnen die ersten Auseinandersetzungen mit der Polizei, welche in den darauf folgenden Wochen zu grossen Stassenkämpfen in verschiedenen griechischen Städten anwachsen. Es werden Schulen, Universitäts- und Amtsgebäude besetzt und Banken, Polizeigebäude, Firmen, Ämter, Geschäfte, Autos, Kameras, ...
kaputtgeschlagen, geplündert und angezündet. Offiziell waren die Riots nach drei Wochen vorbei, das Land kam aber seither nie mehr ganz zur Ruhe.
Die schon länger schwelende Staatsschuldenkrise, welche 2010 offen zum Vorschein kam, stachelte die Unruhen weiter an. Seither gab es mehrere (General-)Streiks, unzählige Strassenkämpfe, Besetzungen, grosse Versammlungen, Konfrontationen mit der Polizei und es wurden weiterhin Symbole der Macht angegriffen, geplündert oder zerstört.
Überall in Griechenland ist Widerstand zu spüren. Immer mehr Menschen haben genug davon passive Fernsehkonsumenten zu sein, sich der täglichen Lohnsklaverei zu beugen und die Verwaltung ihres Lebens an Leute ohne Gewissen zu übertragen.
Von Griechenland – die ganze Welt
Wer die Geschichte des Widerstandes in Griechenland liest, spürt die Energie die sich dort ansammelt, die Kraft zum Kampf. Und wer die Geschichte der Welt ansieht, sich der Unterdrückung und Ausbeutung aller Lebewesen und des Planeten selbst, bewusst wird, versteht, dass es diese Kraft zum Widerstand überall gibt, dass es nur darum geht, sie (in sich) zu wecken und gegen die Mächtigen und Herrschenden zu richten.
Die Ausbeutungsverhältnisse mögen hier in der Schweiz weniger offensichtlich sein als in Griechenland, die Herrschaftsstrukturen, die ihre Grundlage bilden, sind jedoch die Selben. Das Elend drückt sich weniger in materieller Not als in emotionaler Leere aus. Die Geschichte des Widerstandes scheint schwächer zu sein, dessen Kraft steckt jedoch in uns allen. Die Staatsgewalt, so sehr sie auch versuchen mag, sich in ein demokratisches Kostüm zu zwängen um den sozialen Frieden zu bewahren, wird auch hier immer wieder zu den offenen Formen der Gewalt zurückkehren. Denn den sozialen Frieden gibt es nur in der Vorstellung jener, die nicht verstehen können, dass die heutige Realität in ihren Strukturen immer den Zustand der Autorität, Überwachung, Kontrolle, Disziplin und der Vernichtung der Unliebsamen enthält.
Die ökonomische Ideologie versucht uns davon zu überzeugen, dass der heutige Zustand eine Notwendigkeit sei, das einzig Mögliche - so selbstverständlich wie Sonne und Mond. Aber es kann doch nicht sein, dass wir unsere ganze Energie dafür aufbringen, eines Tages ein schönes Haus zu haben, ein Auto, einen guten Job, einen hübschen Mann, um dann zu denken: Na gut, und jetzt? Wir Menschen sind doch mit so vielen Möglichkeiten ausgestattet, das es nur traurig wäre, all unsere Fähigkeiten darauf zu verwenden, zu konsumieren, reich und alt zu werden. Die einfache Tatsache leben zu wollen (und nicht bloss zu Überleben) beinhaltet bereits den Widerstand gegen das Bestehende. Denn wer nur schon unvergiftete Nahrung essen möchte, muss den Kapitalismus als Gesammtes bekämpfen. Und wer freie Beziehungen ausleben möchte, muss sich jeglicher Autorität gegenüberstellen. Wer die Freiheit will, kann nur die Freiheit aller wollen.
Von dieser Welt in eine ganz andere
Wenn wir uns einig sind, dass die momentanen Umstände unhaltbar sind, müssen wir unser Leben selbst in die Hand nehmen und aufhören unsere Hoffnungnen auf „kluge Anführerinnen“ oder „fähige Vertreterinnen“ zu übertragen. Wir müssen unsere Angst besiegen und die Wut überfliessen lassen, die nicht aufhören will, von Innen an unsere Stirn zu pochen. Wir müssen unsere Stimme gegen die andauernde Unterdrückung erheben, uns treffen, miteinander reden, zusammen entscheiden und handeln. Wir müssen uns spontan und unter eigenen, ungreifbaren Bedingungen organisieren, dann sind wir unkontrollierbar und können nicht aufgehalten werden. Wir müssen einen klaren Trennstrich ziehen, zwischen jenen, die die Macht füttern, sie aufrecht erhalten und verteidigen, und uns, denen, die sie bekämpfen. Wir müssen unsere Hände und Wünsche bewaffnen um das zu beseitigen, was uns daran hindert ein zauberhaftes Leben zu führen.
Es ist unwichtig, wer wir sind, wenn wir auf die Strasse gehen, es ist wichtig wer wir werden. Die Gründe, welche uns dort hin führen, mögen verschieden sein. Doch in dem Moment, indem wir zusammenkommen und gemeinsam handeln, wird etwas Neues geschaffen. Durch unsere Entscheidungen, durch die Begegnungen und die Momente des Angriffs, die Wut und den Widerspruch, die unerschöpfliche Leidenschaft, verwandelt sich die Stadt in ein Feld der Experimente, wo alles möglich wird:
Die Schaffung eines neuen Zusammenlebens, anstelle der Reproduktion des Herrkömmlichen;
die Zerstörung dieser Welt und die Schaffung anderer Werte.
Das ist die Schönheit des Aufstandes.
Solidarität mit der sozialen Auflehnung in Griechenland!
Wenn wir von den wiederholten Revolten in Griechenland hören, erfüllt uns das mit Freude und Mut. Wenn wir hören, wie sich Menschen auflehnen, um sich zu befreien, um sich gegen die Autoritäten zu wehren, in denen sie die Ursache ihrer Armut und Unterdrückung erkennen, können wir mit dieser Auflehnung nur Solidarität empfinden. Und wir sind überzeugt, dass wir nicht die einzigen sind, denen es so geht. Viele jener, die sich von dieser Welt ebenfalls erdrückt fühlt, werden diese Empfindung teilen können. Aber was bedeutet diese Solidarität? Wenn wir die Revolte unserer griechischen Gefährten teilen, bedeutet dann Solidarität nicht, diese Revolte weiterzutragen, auch hierhin, wo wir leben?
Grosse Bergmassive und breite Flüsse, weite Ebenen und die verbrannte Erde von Ex-Jugoslavien trennen uns von Griechenland. Aber stehen die Revoltierenden dort unten wirklich einer so anderen Welt gegenüber? Die Bullen und Politiker, ob sie nun offensichtlich korrupt, oder heuchlerisch „korrekt“ auftreten, sind so oder so Autoritäten, die sich anmassen, über unsere Leben entscheiden zu können. Die Banker und Bosse, ob ihre skrupellose Ausschlachtung der ärmeren Schichten nun offen darliegt, oder noch unter dem Deckmantel einer „klassenübergreifenden Gemeinschaft“ funktioniert, sind so oder so Ausbeuter, die uns die Lebenskraft aus den Adern saugen. Ob es nun überwiegend das materielle Elend oder das emotionale Elend ist, was uns das Leben vermiest, es ist immer dieselbe Unterteilung in Privilegierte und Ausgeschlossene, Mächtige und Unterdrückte, die das Funktionieren dieser Welt bestimmt. Dort wie hier verunmöglichen uns die Institutionen dieser Gesellschaft ein Leben, das allen den gleichen Wohlstand und die gleiche freie Entfaltung gewähren könnte.
Wenn wir uns nicht einfach nur mit ein bisschen mehr Freiheit zufriedengeben, sondern die ganze Freiheit geniessen wollen, ohne Kompromisse, dann gibt es hier in der Schweiz nicht einen Grund weniger, sich aufzulehnen, wie dort unten in Griechenland. Dann gibt es nichts, was uns von den griechischen Gefährten trennt, und die falschen Unterscheidungen vonwegen „hier ist doch alles ganz anders“ verschwinden in einem gemeinsamen Kampf gegen jede Form von Regierung – für die grenzenlose Freiheit...
Für die soziale Revolution!
Gegen jede Form von Regierung!
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Wenn wir hierzulande von den Ereignissen in Griechenland hören, dann ist das meistens beim Ausbruch grösserer Revolten. Aber diese Konfliktbereitschaft zahlreicher Menschen, die sich in solchen Momenten zusammenballt, ist die Frucht eines alltäglichen Kampfes, einer alltäglichen Revolte. DIese findet in zahlreichen direkten Aktionen und Angriffen gegen die Institutionen und Menschen der Macht ihren Ausdruck. Aus diesem Grund haben wir diese Spalte erstellt, in einige Ereignisse aufgelistet sind, die seit der Revolte vom 12. Februar bis heute passierten. Selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Gegen die staatliche sowie die „informelle Ökonomie“
Am 21. Januar wird in Athen ein Brandsatz vor einem Pfandleihgeschäft (Halsabschneider, die Darlehen gegen Wertgegenstände tauschen) deponiert. In einer Mitteilung heisst es: „Das war eine symbolische Antwort auf die Verbreitung der modernen Mavragorites [Schwarzmärkte] in den Quartieren von Athen, die die allgemeine Verelendung ausnutzen und versuchen, unsere menschlichen Leidensbrüder auszuplündern, die ums Überleben kämpfen.
Das Aufkommen der Schwarzmärkte entspringt demselben Angriff, der die Leute in die Verarmung zwingt; sie sind ein weiterer Aspekt des Angriffs des Staats und des Kapitals unter einem immer intensiveren Aussaugen des sozialen Reichtums.
Lasst uns mit sozialer Solidarität und sozialer und Klassengewalt gegen alle Gangs von Darlehenshalsabschneidern antworten, um uns gegen das brutale Vorgehen aufzulehnen, das auf die Verelendung unserer Leben abzielt.“
Angriff auf das Haus des Präsidenten
Am 4. Februar griffen etwa 60 Personen mit Steinen das Wachpersonal, den Wachposten und offizielle Fahrzeuge vor dem Haus des Präsidenten der griechischen Demokratie, Karolos Papoulias, an. Die Wachen ergriffen die Flucht und Flugblätter wurden geworfen, die die sofortige Freilassung von 4 verhafteten Anarchisten fordern. Auf dem Rückweg tauchte eine Gruppe der berüchtigten Motorradbullen Einheit auf, die Flash-Granaten einsetzte und versuchte, die Gefährten zu verhaften, jedoch ohne Erfolg.
Freiheit für die Anarchistin Stella Antoniou
In der Nacht des 23. Februar werden in Athen verschiedene Ziele durch Angriffe beschädigt: 6 Bankomaten, ein Auto einer Zeitung (die Medien sind bekanntlich stets gut darin sind, die Revolten der Unterdrückten zu verleunden) und ein Büro des Kulturministers von Exarchia. Diese Aktionen sind der Anarchistin Stella Antoniou gewidmet, die seit dem 4. Dezember 2010 im Gefängnis sitzt. Wie üblich wird in ihrem Fall die Tasache ihrer konstanten kämpferischen Haltung gegen Staat und Kapital im Mund der Polizei zur „terroristischen Vereinigung“, womit sich schliesslich alles rechtfertigen lässt. Denn wer verteidigt schon „Terroristen“? Aber wenn wir dem Wort auf den Grund gehen, das für eine willkürliche und auf eine allgemeine Verbreitung von Angst abzielende Gewalt steht, was ist dann eher Terror: die alltägliche und auf der ganzen Bevölkerung lastende Gewalt der Polizisten, der Gefängnisse, der Ausbeutung und des Elends, oder die Gewalt, die sich gegen diejenigen auflehnt, die eine klare Verantwortung an diesem Elend und an dieser Unterwerfung tragen?
In der Mitteilung zu den obengenannten Angriffen heisst es: „In unseren Zeiten, in denen die Klassenungleichheiten de facto immer deutlicher werden, während sie immer mehr Gesellschaftsschichten betreffen, stellen wir die Klassensolidarität unter den Kämpfenden voran, die Erschaffung von Räumen gegen die Pläne der Herrschaft und die soziale Revolution als einziger Weg, um die Befreiung unserer Leben zu realisieren.“
Gegen den Krieg unter Armen, gegen Rassisten und Faschisten
Nicht nur die Konflikte gegen den Staat und die Autoritäten nehmen in Griechenland zu. Sich der Tatsache bewusst, dass er die steigende Unzufriedenheit aus wirtschaftlichen Gründen nicht wird befriedigen können, fährt der griechische Staat eher die Schiene einer Verwaltung der Konflikte. Dazu werden die rassistischen, nationalistischen und ethischen Gefühle von den Medien geschürt, wie wir das etwas überall und seit jeher kennen. „Teile und Herrsche“ ist eine alte Devise. So erstaunt es auch nicht, dass auch die nationalistische und faschistische Bewegung in Griechenland an Stärke gewinnt. Wir erinnern uns an den Mai 2011, als ein Raubüberfall, der mit dem Tod eines griechischen Händlers endete, einen nach Bürgerkrieg stinkenden Wind entfesselte. Unterstützt von der Verleumdung der Medien, die die Tatsache ausschlachteten, dass die Urheber der Tat „dunkelhäutig“ waren, machten griechische Faschisten mehrere Tage lang Hetzjagd auf beliebige Migranten auf der Strasse, griffen ihre Behausungen und Geschäfter an und stürmten eine Mensa für Arme. Mehrere Migranten wurden ermordet, dutzende lagen schwerverletzt im Spital.
Am 24. Februar 2012 werden auf einem Platz in einem Viertel von Athen eine Gruppe von 15-20 Faschisten, die immer wieder Migranten und Demonstranten angriffen, von einer ebenso grossen Gruppe angegriffen und verprügelt. „Der antifaschistische Kampf ist integraler Bestandteil des Kampfes für eine Gesellschaft der Gleichheit und der Solidarität“, heisst es in einer Mitteilung. Am 8. März wird auch auf der Insel Kreta eine Gruppe von Faschisten angegriffen, die sich vor einem Fernsehstudio versammlten, worin der Führer der Sektion von Kreta der sehr verbreiteten faschistischen Organisation „Golden Dawn“ [Goldene Morganröte] sprach. Am 15. März stürmte eine Gruppe von Anarchisten den vor drei Tagen eingeweiten Sitz dieser „Golden Dawn“-Organisation im Zentrum der Stadt Patras. Das Lokal wurde vollständig verwüstet und Slogans wurden auf die Mauern gesprayt. Ihr Propagandamaterial wurde auf die Strassen hinausgeworfen und dort verbrannt. Als am 8. April eine Gruppe von etwa 25 Neonazis der „Golden Dawn“ in Volos versucht, Wahlpropaganda zu machen, werden sie von etwa 50 Personen angegriffen. Noch am selben Tag wurde der berühmte Fernsehsprecher Panagiotis Bourchas mitten in der Übertragung eines Interviews in seinem Studio überrascht, indem er von Demonstranten mit Yogourts und Eiern beworfen wird, die sich Zugang zum Studio verschafften. Sie beschimpften ihn mit „Faschist!“, während sie ihm vorwarfen, vorgangene Woche einen Sprecher der extremen Rechten empfangen und interviewt zu haben.
Die Waffen der Unterdrückten
Eine kleine Handgemachte Bombe explodierte am 3. April, einige Wochen vor den offiziellen Wahlen, beim Büro des ehemaligen Premierministers von Griechenland Costas Simitis, was einen Brand in dem Gebäude verursachte. Niemand befand sich in dem Gebäude. Die Methode, die angeblich verwendet wurde, ist in Griechenland sehr verbreitet: Mehrere Campinggaskartuschen werden gemeinsam mit einer Petflasche Benzin zusammengebunden, die durch die Verwendung von Anzündwürfeln mit einiger Verzögerung Feuer fängt, und schliesslich die Gaskartuschen zum explodieren bringt.
Ein Selbstmord vor dem Parlament
Am 4. April hat sich ein 77-Jähriger Apotheker in Rente auf dem Syntagmaplatz vor dem Parlament in Athen selbst erschossen, da er seine Situation nicht mehr aushielt und gegen die aktuellen Umstände protestieren wollte. Folgend eine Übersetzung der Nachricht, die er hinterlies: „Die Besatzungsregierung von Tsolakoglou [Anm. d. Ü.: Der General Tsolakoglou unterzeichnete die Übergabe der griechischen bewaffneten Kräfte gegenüber dem III. Reich und wurde 1941 von den Nazis zum Kopf einer Kollaborationsregierung gewählt] hat all meine Überlebensmittel wortwörtlich vernichtet – diese bestanden in einer würdigen Rente, für die ich während 35 Jahren (ohne irgendeinen Beitrag des Staates) Geld zusammenlegte. Mein Alter erlaubt es mir nicht mehr, eine radikalere individuelle Aktion zu unternehmen (auch wenn ich nicht ausschliesse, dass ich, wenn ein Grieche eine Kalaschnikov aufgenommen hätte, nicht der zweite gewesen wäre, der ihm gefolgt wäre), ich finde keine andere Lösung mehr, als ein würdiger Tod, oder ansonsten die Abfälle zu durchwühlen, um mich zu ernähren. Ich glaube, dass die Jugendlichen ohne Zukunft eines Tages die Waffen ergreifen und losziehen werden, um sich die Verräter an der Nation zu holen, auf dem Sytagmaplatz, wie es 1945 die Italiener mit Mussolini auf dem Piazzale Loreto in Milano getan haben“ Einige Tage nach diesem Selbstmord fand ein Beerdigungsumzug statt, an dem sich mehrere Hundert Personen beteiligten. In dessen Verlauf kam es zu handgreiflichen Angriffen auf die Polizei.
Die Unterdrückung hat einen Namen und eine Adresse
Am 9. April explodiert eine Handgemachte Bombe, bestehend aus fünf Gaskartuschen, vor dem Lokal des „Spezialsekretariats der öffentlichen Verwaltung und der elekronischen Regierung“. Dieses ist damit beauftragt, die „Fehler“ in der öffentlichen Verwaltung zu korrigieren und war involviert in die Diskussionen mit der „Troika“. So sollen beispielsweise nach Forderungen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds bis 2015 im öffentlichen Sektor 150‘000 Arbeitsplätze gestrichen werden.
Gegen die Wahlillusionen
„Gegen die Wahlillusionen, gegen die Delegation unserer Leben an Politiker-Berufsangestellte, die von der nationalen und internationalen Wirtschaftselite eingesetzt werden, gegen den Aufruf zu einem umfassenden sozialen Konsens zur Rettung der Nation, gegen die nationale Einheit und den sozialen Kannibalismus, gegen alles, was unsere Leben zerstört, haben wir an diesem 3. Mai im Distrikt von Kaisariani das Lokal der DI.SY-Partei, in der Umgebung von Nikaia-Tenti das Lokal der ND-Partei [Rechtspartei, von der sich DI.SY abspaltete], sowie das Büro einer zyprischen nationalistischen Studentenorganisation in Ambelokipi angegriffen, die die Neonazipartei „Golden Dawn“ [Chrissi Avgi] unterstützt.
Gegen das Pseudo-Dilemma, das von der bourgeoisen Demokratie aufgestellt wird, die am zusammenbrechen ist, besteht die einzige Frage darin, ob wir ein System der Unterwerfung, der Unterdrückung und des Elends bewahren wollen, oder ob wir mit allen Mitteln für die Freiheit kämpfen wollen.“
Explosion vor einem Finanzamt
Kurz vor den Verhandlungen zur Bildung einer Koalistionsregierung, die eine Lösung finden soll, die nationale Wirtschaft durch Sparpläne und Kürzungen auf dem Rücken der armen Bevölkerung zu retten, explodieren am 14. Mai einige Gaskartuschen vor einem Finanzamt.
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Solidarität mit dem sozialen Aufstand in Griechenland!
Griechenland kennt schon seit Jahren keine Ruhe mehr. Spätestens seit den wochenlangen Unruhen im Dezember 2008, deren Auslöser die polizeiliche Ermordung eines Jugendlichen war, hat sich das Pulverfass endgültig entzündet. Seither folgen alle paar Monate massive Strassenkämpfe und landesweite Generalstreiks aufeinander. Die Konfliktbereitschaft gegenüber der Polizei und die zerstörerischen Angriffe auf Institutionen machen deutlich, wie zahlreich, aber vor allem, wie sehr es die Leute satt haben, sich für das Wohl der Reichen und Regierenden durch das Elend schleifen zu lassen.
Vergangenes Wochenende, während das Parlament über eine neue Sparmassnahme entschied, kam es im ganzen Land erneut zu heftigen Unruhen. 48 Gebäude (Banken, Steuerämter, Kommissariate, Einkaufszentren, etc.) wurden dabei niedergebrannt. Dies nur, um einen Eindruck vom Ausmass zu geben. Aber worum es uns hier geht, sind nicht die Fakten, die mehr oder weniger verzerrt auch den Medien zu entnehmen sind. Worum es in diesem Flugblatt gehen soll, ist, wieso wir mit diesem Aufstand Solidarität empfinden, wieso wir ihn, dort wie überall, als Grundbedingung für die Erkämpfung der Freiheit betrachten, und wieso wir, ebenso wie viele Aufständische in Griechenland, Anarchisten sind.
Wieso unsere Solidarität mit diesem Aufstand?
Einmal abgesehen davon, dass es schon eine Anmassung ist, zu erwarten, dass wir unsere Leben von ihren Gesetzen und Befehlen bestimmen lassen, erwarten die Regierenden heute in Griechenland und überall, dass die bereits armen Schichten der Bevölkerung zusätzliche „Opfer“ erbringen und den Gürtel noch enger schnallen, um einem Gesellschaftssystem aus der Krise zu helfen, von dem sie sowieso noch nie viel hatten. Ein grosser Teil der griechischen Bevölkerung hat vergangenes Wochenende entschieden, diese Anmassung nicht länger hinzunehmen. Sie haben sich entschieden, die Regierung und Ausbeutung ihres Lebens nicht länger zu akzeptieren – mit all den Konsequenzen, all den Konfrontationen und Ungewissheiten, die diese Entscheidung bedeutet. Wir empfinden Respekt für den Mut und die Entschlossenheit dieser Leute, die, mit ihren Worten und Taten, auch uns Mut und Entschlossenheit geben. Wir empfinden Solidarität mit ihrem Aufstand, weil wir ihre Wut und Unzufriedenheit gegenüber den bestehenden Zuständen teilen; weil wir in diesem Aufstand auch unser Verlangen nach Selbstbestimmung und Freiheit wiedererkennen. Denn, auch wenn die Gesellschaft hier in der Schweiz vielleicht noch stabiler und reibungsloser wirkt, so beruht sie hier, wie dort, wie praktisch überall, auf genau denselben Prinzipien. Auf dem Befehlen und Gehorchen, dem Ausnutzen und ausgenutzt Werden, der Pflicht und der Aufopferung. Prinzipien, von denen einige wenige auf Kosten der meisten anderen profitieren. Und wir beklagen uns hier nicht, das wir, wie die meisten anderen, nicht unter jenen sind, die profitieren. Andere zu unterwerfen und auszunutzen, widert uns genauso an, wie uns zu unterwerfen und uns ausnutzen zu lassen. Uns geht es darum, dass wir keinen Bock auf diese Prinzipien haben. Wir wollen ein völlig anderes Leben, als das, in das man uns zwängen will. Und die Möglichkeit eines solchen Lebens, eines Lebens ohne Unterwerfung, spüren wir, wenn wir revoltieren. Die Hartnäckigkeit der sozialen Kämpfe in Griechenland hat, unserer Meinung nach, weniger damit zu tun, dass die Regierenden dort besonders korrupt oder ungeschickt herrschen, sondern vielmehr damit, dass immer mehr Menschen, durch ihre Erfahrungen in der Revolte, eben diese Prinzipien, also die Herrschaft an sich in Frage stellen. Es ist vor allem darum, dass wir Solidarität mit diesem Aufstand empfinden.
Wieso den Aufstand als Grundbedingung für die Erkämpfung der Freiheit?
Diese Gesellschaft basiert schon seit Urzeiten auf der Herrschaft, der Autorität. Seit fast ebenso langer Zeit basiert sie auf dem Privateigentum, das heisst, der Unterteilung in Besitzende und Besitzlose, Reiche und Arme. Und die Mächtigen, die Besitzenden, die Reichen, oder wie auch immer man jene nennen möchte, die sich in dieser Gesellschaft Privilegien auf Kosten der anderen herausschlagen, haben immer schon darauf geachtet, diese Privilegien auch zu verteidigen – und zwar mit aller nötigen Gewalt. Sie haben das Militär, die Polizei, die Gefängnisse eingerichtet… Und gerade bei Aufständen haben wir schon immer am deutlichsten gesehen, zu welchen Zwecken diese Einrichtungen dienen. Nicht nur heute, selbstverständlich, und nicht nur in Griechenland oder in Nordafrika und Syrien, fragen sich massenhaft Leute, wieso sie sich ihre Unterdrückung durch eine Minderheit an Privilegierten einfach gefallen lassen sollten. Diese Frage wurde schon zahlreiche Male in der Geschichte der Menschheit gestellt, und ebenso zahlreich waren die blutigen Niederschlagungen der Aufstände dieser allzu neugierigen Menschen, die es immer wieder wagten, das zu hinterfragen, was seit jeher als unantastbar hingestellt wird: das Prinzip der Autorität.
Jene, die in dieser Gesellschaft über die materielle Gewalt verfügen, haben sie schon immer eingesetzt und werden es auch immer tun, um ihre Privilegien zu schützen. Wir glauben nicht, dass sie durch einen langsamen, politischen Prozess der „Bewusstwerdung“ eines Tages freiwillig, zu Gunsten aller, von ihren Privilegien absehen werden. Schliesslich geht es hier nicht um eine reine Vernunftssache. Es geht um Ideen, um eine gewisse Haltung gegenüber dem Leben, die manche teilen mögen, andere nicht. Wir behaupten nicht, dass die Freiheit vernüftiger ist als die Autorität, wir behaupten bloss, dass sie schöner, lebendiger, ergiebiger, freudiger und stolzer ist. Zwischen jenen, die die Freiheit wollen, und jenen, die die Autorität wollen, wird es immer einen Konflikt geben. Solange es Autoritäten gibt, die über unser Leben bestimmen, können wir die Freiheit nur kosten, wenn wir unser Leben ihrem Griff entreissen, wenn wir uns auflehnen. Darum betrachten wir den individuellen und kollektiven Aufstand als Grundbedingung für die Erkämpfung der Freiheit.
Wieso sind wir Anarchisten?
Infolge der Unruhen in Griechenland konnten wir in einigen Medien lesen, wie diese etwas verdutzt feststellten, dass jene, die dort unten vermummt, mit Stöcken und Molotovs bewaffnet, besonders energisch an der Seite der aufständischen Bevölkerung kämpfen, jene, die hier üblicherweise plump als „schwarzer Block“ bezeichnet werden, dort „Anarchisten“ genannt werden. Es scheint den dortigen Medien schwer noch möglich, mit der Reduzierung auf eine blosse Äusserlichkeit zu verhüllen, dass es sich hier um Menschen handelt, die Ideen haben. Und auf diese Ideen möchten wir hier kurz eingehen, selbstverständlich ausschliesslich von unserem eigenen Standpunkt aus.
Wie gesagt basiert diese Gesellschaft seit jeher auf Herrschaft, auf Archie, um das griechische Wort zu benutzen. Die Anarchie wäre demnach die Abwesenheit jeglicher Herrschaft. Wir haben gesehen, wie alle autoritären Gesellschaftsformen, von der faschistischen Diktatur, über die Entartungen des Sozialismus bis zur heutigen demokratischen Warengesellschaft, schon immer die alte Trennung zwischen Reichen und Armen, Befehlenden und Gehorchenden, Privilegierten und Unterdrückten aufrechterhalten haben. Wir aber, als Anarchisten, wollen eine Welt, in der alle die gleiche Freiheit geniessen, in der wir durch Solidarität, gegenseitige Hilfe und Selbstorganisation die unbegrenzte Entfaltung aller Individuen ermöglichen. Jede Form von Autorität, von Regierung, von Einsperrung steht der Möglichkeit einer solchen Welt entgegen, mehr noch, die Tatsache, sie anzuerkennung und zu respektieren stumpft unser Denken soweit ab, dass wir uns gar nichts anderes mehr vorstellen können. Darum wollen wir sie hier und ab heute bekämpfen. Darum lehnen wir es ab, mit dem Staat zu verhandeln oder von ihm zu fordern. Darum lehnen wir die Politik und die „Organisationen“ ab, die auf der Delegation von Entscheidungen beruhen, die die Entwicklung der Eigenständigkeit der Individuen hemmen und somit autoritäre Mechanismen begünstigen. Darum schliessen wir uns lieber spontan, als Gefährten, die den selben Weg teilen, als Freunde, die ähnliche Ideen und Ziele verfolgen, für kurze oder längere Zeit zusammen, um mit unseren eigenen Händen zu kämpfen, um mit beiden Füssen im Leben zu stehen. Wir sind Anarchisten, weil wir einfache Menschen sind, und weil wir die Arroganz und Heuchelei aller möglichen Bosse und Führer satt haben. Wir sind aber auch Anarchisten, weil wir neugierige Menschen sind, weil wir alles entdecken, alles ausprobieren, alles erfahren möchten, was uns die Gesetze, Normen und Sitten heute untersagen – weil wir mehr vom Leben wollen, viel mehr! Wir sind Anarchisten, weil wir die Freiheit lieben und für sie kämpfen wollen, kompromisslos, hier und jetzt.
Auf dass sich das Feuer aus Griechenland weiterverbreitet…
(eine französische übersetzung findet sich hier;: http://cettesemaine.free.fr/spip/article.php3?id_article=4800